Physiologische Probleme des Marathonlauf
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Dr. Enrico Arcelli, Italien

Wie in kaum einer anderen leichtathletischen Disziplin können fundamentale Kenntnisse der Physiologie von so großer praktischer Nützlichkeit sein wie im Marathonlauf. Man kann in der Tat sagen, dass der Trainer, der die physiologischen Probleme dieser Disziplin genau kennt, sowohl das Training sinnvoller aufbauen als auch seine Athleten im Wettkampf besser vor jenen Krisen bewahren kann, die auf "Austrocknung", Hyperthermie (Körperübertemperatur), Hypoglykämie (Blutzuckermangel), Erschöpfung des Glykogenvorrats der Muskulatur usw. zurückzuführen sind.


1. Die "Kosten" des Rennens
Für jeden im Wettkampftempo gelaufenen Kilometer verbraucht der Marathonläufer etwa 0,9 kcal/kg Körpergewicht. Ein gut laufender Athlet kann auch mit weniger auskommen (z.B. 0,88 kcal/kg x km), während schlecht gelaufen bis zu 0,95 und mehr kcal/kg x km kosten kann. Der nicht laufgewohnte Mensch muß etwa 1 kcal/kg x km aufbringen. Schlecht gelaufen kann also einige Minuten im Marathonlauf bedeuten.

2. Der Energie-Gesamtaufwand
Für die gesamte Marathonstrecke (42,195 km, rund 42,2 km für unsere Rechnung) würde ein 60 kg schwerer Athlet, der mit einem Aufwand von 0,9 kcal/kg x km läuft, unabhängig von der dafür benötigten Zeit etwa 42,2 km x 60 kg 0,9 kcal/kg x km = 2278 kcal aufwenden müssen. In dieser Rechnung sind natürlich eventuelle Höhendifferenzen usw. nicht berücksichtigt.

3. Stoffwechsel- und Strahlungswärme
Während der Muskelarbeit wird der größte Teil der Energie in Wärme umgewandelt. Im Falle des Marathonlaufs werden etwa 90 % des Energie-Gesamtaufwandes (rund 2000 kcal also) in Stoffwechselwärme (M), die vom Körper abgeführt werden muß, umgewandelt. Scheint während des Laufes die Sonne, nimmt der Körper des Läufers einen Betrag an Strahlungswärme (R) auf, der unter Umständen einige zehn kcal betragen kann und die der Körper ebenfalls abführen muß. Es ist bekannt, dass weiße Sportkleidung einen größeren Teil der Sonneneinstrahlung reflektiert als dunkle und damit den Strahlungswärme- betrag herabsetzt.

4. Die Wärmeabfuhr
Die Summe von Stoffwechsel- und Strahlungswärme (M+R) beträgt beim Marathonlauf mehr als 2000 kcal, die abgeführt werden müssen, um eine Erhöhung der Körpertemperatur zu verhindern. Man bedenke dabei, dass etwa 50 kcal ausreichen, die Körpertemperatur um rund 1 Grad zu erhöhen. Zwar können kurzzeitige Körpertemperaturen bis zu 42 ertragen werden, aber das würde natürlich den Marathonläufer zur Aufgabe zwingen. Während des Laufs muß also notwendigerweise dauernd Wärme abgeführt werden. Das geschieht durch den Wärmetauschmechanismus mit der Umgebung (Verdampfung und Konvektion im wesentlichen).

5. Die durch Konvektion abgeführte Wärme
Die Hauttemperatur variiert von Punkt zu Punkt, ist jedoch im allgemeinen höher als die Lufttemperatur. Die Luft in unmittelbarem Kontakt mit der Haut wird von dieser erwärmt und damit ein gewisser Wärmebetrag vom Körper übernommen. Die Luftbewegung, ob nur durch die Bewegungen des Läufers oder zusätzlichen Wind entstanden, erneuert kontinuierlich die im Kontakt mit der Haut befindlichen Schichten. Diese Wärmeabfuhr durch Konvektion (C) nimmt in etwa mit der Wurzel der Laufgeschwindigkeit zu und ist um so größer, je größer die entblößte Hautoberfläche ist. In dem Falle,
in dem die Umgebungstemperatur höher als die des Körpers ist, übernimmt der Körper vermittels Konvektion.

6. Die durch Verdampfung abgeführte Wärme
Jeder Liter Wasser absorbiert mit seinem Übergang in Wasserdampf etwa 600 kcal. Multipliziert man also jedes Gramm Schweiß, das aus dem Körper des Läufers austritt und verdampft, mit 0,6, erhält man die durch Verdampfung abgeführte Wärmemenge in cal. Jedoch verdampft nicht der gesamte von den Schweißdrüsen produzierte Schweiß, sondern nur ein Teil, der um so größer ist, je trockener die umgebende Luft ist.

7. Die "Austrocknung" und das Salzdefizit
Im Verlauf eines Marathonlaufs, der bei mildem Wetter stattfindet, verliert ein Läufer im Mittel 2 bis 3 Liter Schweiß. Bei großer Hitze verlieren manche Läufer auch 5 oder mehr Liter, in gewissen Grenzfällen gar mehr als 10% ihres Körpergewichts. Eine "Austrocknung" dieser Größenordnung kann einen Läufer in einen schweren Krisenzustand (Austrocknungskrise) bringen. Es ist daher wichtig, dass sich der Läufer in gut "hydriertem" Zustand an den Start begibt und während des Laufes wenigstens einen Teil des in Form von Schweiß abgegebenen Wassers ersetzt. Es ist vor allem bei großer Hitze ratsam, dass der Athlet während des Laufs wenigstens soviel trinkt, dass sein Durst gestillt ist. Es sei noch darauf hingewiesen, dass der Schweiß 0,2 bis 0,5% Kochsalz enthält. Wenn der Organismus sich in einem solchen Salzdefizitzustand befindet, kann das Schwitzen schwierig werden. Einige Fachleute sind der Ansicht, dass man den während des Laufs zu trinkenden Getränken etwas Kochsalz zusetzen sollte: Damit sei nicht nur der Salzhaushalt aufrechtzuerhalten, sondern auch die Zeit, die das Getränk im Magen verbleibt, verringert. In den Tagen vor einem Marathonlauf ist es jedenfalls empfehlenswert, den Speisen ein wenig mehr Salz als üblich zuzusetzen. Das sollte m.E. ausreichen, dem Salzdefizit während des Laufs vorzubeugen.

8. Wärme und Wasserdampf, die über die Lunge abgeführt werden
Auch über die Lunge wird Wärme abgeführt, wenn die ausgeatmete Luft wärmer und mehr mit Wasserdampf gesättigt ist als die eingeatmete. Man kann damit rechnen, dass ein 60 kg schwerer Athlet während eines Marathonlaufs etwa 0,25 kg Wasser in Form von Wasserdampf über die Lunge abführt; das ist gleichbedeutend mit etwa 150 kcal. Dieser Betrag ist logischerweise um so größer, je niedriger die Umgebungstemperatur ist.

9. Die Wärmebilanz
Die Wärmebilanz B kann angenommen werden als die algebraische Summe der Stoffwechselwärme M (immer positiv), der Strahlungswärme R (im allgemeinen positiv), der durch Verdampfung abgeführten Wärme E (immer negativ) und der durch Konvektion abgeführten Wärme C (positiv oder negativ, je nachdem, ob die Umgebungstemperatur höher oder niedriger als die Hauttemperatur ist).

B = M + R - E +/- C .

Man kann auch schreiben:

B = 0,83 [(Ta * PCa) - (Tp * PCp)].

Hierin ist 0,83 die spezifische Körperwärme des Menschen, Ta die Körpertemperatur des Läufers am Ziel, Tp die Körpertemperatur am Start, PCa das Köpergewicht am Ziel und PCp das Körpergewicht am Start. Die Körpertemperatur ist am Ziel im allgemeinen höher als am Start. Da die Körpergewichtsvariation jedoch stärker in die Rechnung eingeht, ist B oftmals negativ.

10. Wärmeregulierung über den Blutkreislauf
Eine der Funktionen des Blutkreislaufs ist der Wärmetransport zur Haut. Bei steigender Körpertemperatur erhöht sich der Anteil des zur Haut geleiteten Blutes erheblich (bis zu 20% der Gesamtmenge). Damit kann eine größere Wärmemenge abgeführt werden. In der Konsequenz verringert sich jedoch die Muskeldurchblutung und damit die Sauerstoffversorgung der Muskulatur. Bezüglich der Funktion des Blutkreislaufs glauben einige Autoren, dass der Verlust von einigen Litern Schweiß eine Verringerung des Liquidanteils des Blutes zur Folge hat. Wir haben jedoch bei den von uns untersuchten Marathonläufern nie nennenswerte Unterschiede im "Hämatokrit" (das Volumen, das die roten Blutkörperchen in 100 g Blut einnehmen / Verhältnis der festen zu den flüssigen Bestandteilen des Blutes) vor und nach dem Lauf gefunden. Das
bedeutet, dass sich das Blutplasmavolumen während des Marathonlaufs nicht verändert.

11. Die Energieherkunft
Die Muskeln des Läufers, die während des Laufs belastet werden (vor allem Bein- und Gesäßmuskeln, aber auch andere Muskelgruppen des Rumpfes und der Arme), können ihre langdauernde und intensive Arbeit nur dann leisten, wenn sie über geeignete Energiequellen verfügen können. Diese Energie ist biochemischer Natur und wird letztendlich in Verbrennungsvorgängen erzeugt: in Reaktionen zwischen dem Sauerstoff, der über den Blutkreislauf kontinuierlich zu den Muskeln gelangt, und einem "Brennstoff" in Form von Zucker und Fett (Glykogen und freien Fettsäuren). In der Praxis können wir von den folgenden Reaktionen sprechen:

a) Sauerstoff + Glykogen = Kohlensäureanhydrid + Wasser + Energie.
b) Sauerstoff + freie Fettsäuren = Kohlensäureanhydrid + Wasser + Energie.

Betrachten wir die Reaktionsprodukte von a) und b): Das Kohlensäureanhydrid (= Kohlendioxyd) wird über das Blut zur Lunge transportiert und dort eliminiert (Ausatmung). Über das Wasser ("Oxydationswasser") sprechen wir weiter unten. Die Energie dient zur Aufladung des ATP (Adenosin-Triphosphat), jener Moleküle also denen die Muskelfiber die Energie entnimmt.

12. Der maximale Sauerstoffverbrauch
Für den Marathonläufer ist es von großer Wichtigkeit, dass seine Muskeln jederzeit eine große Menge Sauerstoff nachgeliefert bekommen. Die Intensität der Reaktionen a) und b) ist abhängig von der Sauerstoffmenge pro Zeiteinheit, die für die Reaktionen zur Verfügung steht. Je mehr Sauerstoff in den Muskeln ankommt, um so mehr Glukose und Fettsäure wird verbrannt, um so größer ist damit die zur Aufladung des ATP produzierte Energie. Die Muskeln verfügen über eine größere ATP-Menge und können sich mit höherer Frequenz kontraktieren. Die maximale Sauerstoffmenge, die von einem Organismus pro Zeiteinheit absorbiert werden kann, nennen wir den "maximalen Sauerstoffverbrauch". Die besten Marathonläufer haben - dank ihrer Herz- und Kreislaufcharakteristik - einen "maximalen Sauerstoffverbrauch" von mindestens 75 ml Sauerstoff pro kg Körpergewicht und Minute. Obwohl - wie wir später noch sehen werden - ein hoher "maximaler Sauerstoffverbrauch" eine unerläßliche Voraussetzung für einen guten Marathonläufer ist, reicht dieser allein natürlich nicht aus. Athleten anderer Sportarten (1500-m- und 5000-m-Läufer, Skilangläufer, Ruderer, Radfahrer usw.) würden damit alleine noch keinen Marathonlauf in einer guten Zeit durchstehen, selbst wenn sie einen höheren "maximalen
Sauerstoffverbrauch" als 75 ml/kg x min haben.

13. Glykogen und Fettsäuren
Wie schon gesagt, sind Glykogen und Fettsäuren die Brennstoffe, aus denen die Energie für die Muskeln hervorgeht. Das Glykogen befindet sich bereits in den Muskeln in winzigen Masseteilen. Die Fettsäuren hingegen kommen aus den Fettvorräten und gelangen über das Blut zu den Muskeln. Die Gesamtmenge des in den Muskeln enthaltenen Glykogens beträgt beim Marathonläufer vor dem Start einige 100 g. Im Ziel ist dieser jedoch stark reduziert. Die in den Fettvorräten gespeicherten Fettsäuren betragen 2 bis 3% des Körpergewichts, also rund 1,5 kg bei einem 60 kg schweren Läufer. Beim 20- bis 30-jährigen, nicht sporttreibenden Mann erreichen und übersteigen diese Fettvorräte leicht 10% seines Körpergewichts.

14. Der Atmungsquotient
Unter dem Begriff Atmungsquotient versteht man das Verhältnis von produziertem Kohlensäureanhydrit (das mit dem Ausatmen eliminiert wird) zum Sauerstoffverbrauch während des gleichen Zeitraums:

Atmungsquotient = produziertes Kohlensäureanhydrit / Sauerstoffverbrauch

Der Atmungsquotient kann zwischen 0,7 und 1 variieren. Er ist 0,7, wenn der Organismus nur Fettsäuren verbraucht; er ist 1, wenn er nur Zucker verbraucht. Während eines im Marathonrhytmus absolvierten Laufs hat der Atmungsquotient immer einen Zwischenwert, der im allgemeinen zwischen 0,8 und 0,9 liegt. Das bedeutet, dass in den Muskeln des Läufers sowohl Zucker als auch Fettsäuren "verbrannt" werden, deren prozentuale Verteilung sich bei genauer Kenntnis des Atmungs- quotienten genau bestimmen läßt. Im Marathonlauf ist ein Atmungsquotient von möglichst nahe an 1 am vorteilhaftesten. Es ist also günstig, wenn der Athlet möglichst viel Zucker und wenig Fettsäuren verbraucht. Bei gleicher Sauerstoffmenge wird bei der Verbrennung von Glykogen (Reaktion a) mehr Energie erzeugt als bei der Verbrennung von Fettsäuren (Reaktion b).
Siehe dazu Tabelle 1.
...

Atmungsquotient

Kalorienherkunft

kcal/Liter

.

Fett

Zucker

Sauerstoff

.

0,70

100%

0%

4,60

0,80

67%

33%

4,80

0,85

50%

50%

4,86

0,90

33%

67%

4,92

1,00

0%

100%

5,05

.
Tabelle 1: Für eine Reihe von Atmungsquotienten wird hier aufgezeigt, in welchem prozentualen Verhältnis
die erzeugte Energie von den Fettsäuren und der Glukose (Zucker) kommt. In der letzteren Kolonne werden die erzeugten Energiewerte pro Liter Sauerstoff, der zu den Muskeln gelangt, aufgeführt. Der mittlere Atmungsquotient während eines Marathonlaufs liegt bei 0,85 (höher zu Beginn, niedriger gegen Ende des Laufs). Bei einem Athleten mit fettreicher Ernährungsweise liegt der Atmungsquotient um 0,80, bei einem Athleten mit kohlehydratreicher Ernährungsweise nahe 0,90. Im letzteren Falle liegt die Energieerzeugung pro Liter Sauerstoff um etwa 1,2% höher als bei gemischter Ernährungsweise und rund 2,5% höher als bei fettreicher Ernährung.


15. Die Bedeutung der kohlehydratreichen Ernährung für den Martahonläufer
Schon 1939 fanden Christiansen und Hansen, dass eine körperliche Leistung gegebener Intensität im Mittel 4 Stunden aufrechterhalten werden konnte, wenn der Athlet sich vornehmlich mit Kohlehydraten ernährt hatte; 2 Stunden bei einer gemischten Ernährung und weniger als 1 1/2 Stunden bei sehr fettreicher Ernährung. In neuerer Zeit stellten andere Skandinavier fest, dass eine kohlehydratreiche Ernährung den Glykogengehalt der Muskeln erhöht und dass eben dieser hohe Glykogengehalt eine länger andauernde Belastung gegebener Intensität erlaubt (oder - wenn man von intensiver Belastung über längere Zeit wie beim Marathonlauf spricht - dass man für eine gegebene Strecke weniger Zeit benötigt).

Frühstück (580 kcal) 1 gekochtes Ei, 10 g gekochter Schinken, Tee oder Kaffee ohne Zucker
Mittagessen (1125 kcal) 1 Tasse Fleischbrühe mit 10 g Butter, 200 g Hamburger, 100 g Emmenthaler
Abendessen (420 kcal) Nudelsuppe mit Ei und 10 g Parmesankäse, 200 g Schweineschnitzel, 300 g gekochten Spinat und 10 g Speiseöl
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Tabelle 2: Glukosemangelernährung (Fett-Eiweiß-Diät). Die von Dr. Jacoponi in den ersten 3 Tagen angewandte glukosearme Diät

Frühstück (520 kcal) 150 g entrahmte Milch, Kaffee mit 10 g Zucker, 100 g Brot mit 50 g Marmelade
Mittagessen (1265 kcal) 150 g Reis mit Tomatenmus ohne Fett, 100 g Leber vom Rost, 100 g gekochte
Kartoffeln mit Zitrone gewürzt, 100 g Brot mit 60 g Marmelade
Vesper (285 kcal) 50 g Brot mit Honig, 100 g entrahmte Milch mit 10 g Zucker
Abendessen (935 kcal) 100 g Reis, 100 g Fisch (Kabeljau) vom Rost, 50 g Kartoffeln mit Zitrone, 100 g
Brot, 100 g Milch mit 10 g Zucker, 1 Banane
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Tabelle 3: Glykoseüberschußernährung. Die von Dr. Jacoponi in den letzten 3 Tagen vor dem Marathon- lauf angewandte "vorbereitende Ernährung". Wie man sieht, sind auch eiweißhaltige Nahrungsmittel (Leber und Fisch) dabei; sie können jedoch auch in der Mahlzeit vor dem Wettkampf durch andere, vornehmlich glukosehaltige Nahrungsmittel ersetzt werden. Unter den nicht in der Tabelle enthaltenen erinnere ich an Kekse, Süßigkeiten (ohne Sahnefüllung), frische und gekochte Früchte usw.

16. Der maximale Glykogengehalt der Muskeln
Bei einem Athleten mit gemischter Ernährungsweise beträgt der Glykogengehalt der Muskeln etwa 1,5 Gramm pro 100 Gramm Muskelgewicht. Nach einer längeren Belastung im Training sinkt dieser Glykogengehalt sehr stark. Wenn der Athlet nunmehr vornehmlich kohlehydratreiche Speisen zu sich nimmt, steigt schon nach wenigen Mahlzeiten der Glykogengehalt der Muskeln klar über das normale Maß, und am dritten Tag sind Werte von über drei Gramm erreicht. Wenn hingegen nach einem den Glykogengehalt mindernden Training eine reine Fett-Eiweiß-Diät eingehalten wird (ohne jegliche Kohlehydrate), bleibt lediglich ein sehr geringer Glykogenbetrag in den Muskeln aufrechterhalten. Eine solche Ernährung hat keine unmittelbare Nützlichkeit, ist jedoch wichtig zur Erzeugung eines "Zuckerhungers" der Muskeln. Wenn der Athlet sich nunmehr für die nächsten drei Tage ausschließlich mit kohlehydratreicher Ernährung ernährt, erreicht der Glykogengehalte der Muskeln etwa 4 Gramm pro 100 Gramm Muskelgewicht (in gewissen Fällen sogar über 5 Gramm). Will der Marathonläufer also mit einem hohen Glykogengehalt an den Start gehen, sollte er 6 Tage vor dem Wettkampf nach einem längeren Training für 3 Tage eine klare Fett-Eiweiß-Diät einhalten und anschließend eine ebenso klare Kohlehydratdiät befolgen (siehe Tabelle 2 und 3). Dr. Jacoponi, selbst Marathonläufer, bezeichnet diesen Gesamtkomplex als "vorbereitende Ernährung".

17. Das Training in der Woche vor dem Wettkampf
Angenommen, der Marathonlauf findet am Sonntagnachmittag statt und die "vorbereitende Ernährung" beginnt am vorausgehenden Montagabend, dann findet das letzte lange Training über rund 30 km zur Herabsetzung des Glykogengehaltes der Muskeln auf ein Minimum am Montagnachmittag statt. Bis zum Mittagessen am Donnerstag befolgt der Athlet die Fett-Eiweiß-Diät und trainiert nur in sehr begrenztem Umfang (maximal 10 bis 15 km), zumal auch der Glykogenmangel das Training sehr ermüdend werden läßt. Freitag und Samstag sollte kein Training stattfinden, um die Glykogenaufüllung zu begünstigen. Allenfalls kann ein kurzes Training von 5 bis 10 km aus physiologischen Gründen ratsam
sein. Sonntagmorgen, eine Stunde vor dem Mittagessen, rate ich zu einem "Vor-Aufwärmen" von 3 bis 5 km. Der Zeitraum zwischen dem Mittagessen und dem Wettkampf muß den individuellen Gewohnheiten des Athleten Rechnung tragen. Wenn dieser Zeitraum sehr lang ist, rate ich, sofort nach dem Aufwärmen für den Wettkampf einige Stückchen Würfelzucker oder - noch besser - einige 10 g Traubenzucker zu essen.
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18. Der Zucker- und Fettverbrauch im Verlauf des Marathonlaufs
Um die gesamte Marathonstrecke zu laufen, verbraucht ein 60 kg schwerer Athlet (siehe Kapitel 2) etwa 2280 kcal. Ist sein Atmungsquotient 0,85, kommt die Hälfte dieser Energie (ungefähr 1140 kcal) von der Glukose und die andere Hälfte von den Fetten. Da die Verbrennung von 1 g Zucker 4,1 kcal und die Verbrennung von 1 g Fett 9,3 kcal an Energie erzeugt, verbraucht der Läufer etwa 278 g Zucker (Glukose) und 122 g Fett. Bei einem Atmungsquotienten von 0,80 kommen zwei Drittel der Energie von den Fetten (1530 kcal = 164 g) und ein Drittel vom Zucker (750 kcal = 183 g). Ist der Atmungsquotient hingegen 0,90, kommen zwei Drittel der Energie vom Zucker (1530 kcal = 372 g) und ein Drittel von den Fetten (750 kcal = 81 g).

19. Während des Wettkampfes eingenommer Zucker
Sich am Start mit stark mit Glykogen angereicherten Muskeln zu präsentieren, stellt für den Marathonläufer zweifellos einen beachtlichen Vorteil dar. Um das zu erreichen, ist - wie wir sahen - die Befolgung einer etwas komplizierten Ernährungs- weise nötig. Das ist nicht immer einfach, wenn man zum Wettkampf weit anreisen muß zum Beispiel. Aber kann man nicht zu dem gleichen Vorteil gelangen, indem man während des Laufs Zucker zu sich nimmt? Das ist klar zu verneinen. Neben den Schwierigkeiten, während des Laufs die gleichen Mengen Zucker zu sich zu nehmen, wie das in der "vorbereitenden Ernährung" der Fall ist, sprechen physiologische Faktoren eindeutig dagegen. Normalerweise wird eingenommener Zucker (und alle Kohlehydrate) im Verlauf des Verdauungsvorgangs in Monosaccharide umgewandelt und als solche - absorbiert von den Magenschleimhäuten - in den Blutkreislauf überführt. Vom Blut können diese mit Hilfe des Hormons Insulin in die Zellen (auch in die Muskelfiberzellen) übernommen werden. Während einer physischen Anstrengung der Art eines Marathonlaufs sinkt das Insulinniveau, und die Monosaccharide können nicht mehr in die Muskeln übernommen werden. Trotzdem ist die Zuckereinnahme während des Laufs nützlich, weniger für die Glykogennachfüllung in die Muskeln als vielmehr zur Aufrechterhaltung des Blutzuckergehalts in einem gewissen Umfang.


 

 
  Abb. 1: Der Glykogengehalt der Muskeln kann im Laufe der Tage, je nach Training und Ernährung, variieren. Wie man sieht beträgt er bei gemischter Ernährung 1,3 bis 1,8 Gramm pro 100 Gramm Muskelgewicht. Mit dem Training geht er fast auf Null zurück, steigt jedoch in wenigen Tagen bei kohlehydratreicher Ernährung auf mehr als 3 g. Wird dagegen nach dem Training für 3 Tage eine Fett-Eiweiß-Diät befolgt, bleibt der Glykogengehalt sehr niedrig, steigt dann aber auf über 3,5 g, wenn in den folgenden Tagen eine kohlehydratreiche Ernährungsweise angewandt wird. Diese Grafik beweist, dass die eingeleitete "Leerung" der Glykogenvorräte die folgende Wiederaufüllung begünstigt. Man sieht, dass eine sofortige kohlehydratreiche Ernährung ohne vorhergehendes Training (Leerung der Vorräte) deutliche niedrige Glykogengehaltswerte ergibt, als das mit vorausgehendem Training der Fall ist (nach Salün und Hermansen).  


20. Der Glukosegehalt des Blutes
Normalerweise enthalten 100 g Blut etwa 1 g Glukose (1 g%). Wenn dieser Betrag auf oder unter 0,8 bis 0,7 g% absinkt, spricht man von Glukosemangel (Hypoglykämie). Der Glukosemangel führt zu schweren Störungen und bei Absinken des Glukosegehalts unter 0,5 g% sogar zur Bewußtlosigkeit. Ein Marathonläufer mit derart starkem Glukosemangel ist natürlich zur Aufgabe gezwungen. Der Glukosegehalt des Blutes wird gewöhnlich auf normalen Werten gehalten durch die in der Leber in Form von Glykogen (tierische Stärke) enthaltene Glukose. Wenn die Glykogenvorräte der Leber des Marathonläufers, der an den Start geht, unzureichend sind, riskiert der Läufer eine Blutzuckermangel-(Hypoglykämie)Krise im Verlauf des Rennens; es sei denn, er nimmt während des Laufes Zucker zu sich.

21. Die Gewichtszunahme als Folge der "vorbereitenden Ernährung"
Der Athlet, der eine vorbereitende Ernährung befolgt, geht mit einigen 100 g mehr Gewicht an den Start, als jener, der eine gemischte Ernährung hinter sich hat. Beträgt diese Gewichtszunahme 1 kg, muß der Läufer auf dem ersten Streckenteil
1,66 % mehr an Energie deswegen aufwenden. Das Gewicht nimmt jedoch schneller ab als im Falle einer gemischten Ernährung während der Woche vor dem Rennen; außerdem besteht weniger Notwendigkeit zum Trinken. Die Gewichtszunahme ist weniger auf reine Glykogenanlagerung zurückzuführen, als vielmehr auf die Tatsache, dass diese in hydrierter Form geschieht. In der Tat korrespondiert jedes Gramm Glukose mit etwa 2,7 g Hydratwasser.

22. Hydratwasser und "Oxydationswasser"
Während des Rennes werden mit jedem Gramm "verbrannten" Glykogens 2,7 g Wasser frei. Ein mit "vorbereitender Ernährung" präparierter Athlet verbraucht während des Marathonlaufs rund 375 g Glykogen; damit werden rund 1000 g Kristallwasser frei. Nach einer gemischten Ernährung beträgt der Glykogenverbrauch etwa 280 g, verbunden mit 750 g Hydratwasser. Nach einer fettreichen Ernährung beträgt der Glykogenverbrauch etwq 185 g = 500 Hydratwasser. Außerdem werden mit der Verbrennung von Glykogen und Fettsäure rund 300 g "Oxydationswasser" frei (siehe Kapitel 11). Insgesamt können vom Körper zwischen 800 und 1200 g Hydrat- und "Oxydations"-Wasser in Form von Schweiß abgeführt werden, ohne dass das Blut oder andere Gewebe es abgeben müssen. Genau das ist einer der Gründe, warum Marathonläufer, selbst wenn sie im Verlauf des Rennens mehr als 8% ihres Körpergewichts als Schweiß absonderten, dennoch keine Austrocknungssymptome in dem Umfang zeigen, wie jemand, der ebensoviel Schweiß ohne Muskeltätigkeit in sehr warmer Umgebung verlor.

23. Die Vorteile der "vorbereitenden Ernährung"
Der Tabelle 1 können wir entnehmen, dass ein Athlet mit einem Atmungsquotienten von 0,9 - das ist der Fall nach einer "kohlehydratreichen Ernährung" -, mit einem Liter Sauerstoff 4,92 kcal an Energie erzeugt; gegenüber den 4,86 kcal nach einer gemischten Ernährung (Atmungsquotient 0,85), und 4,80 kcal nach fettreicher Ernährung (Atmungsquotient 0,80). Im Vergleich zur gemischten Ernährung beträgt der Energievorteil, der aus der Glukoseüberschußernährung resultiert
also etwa 1,2 %. Wir sahen jedoch auch, dass die Gewichtszunahme 1,6% und mehr beträgt, was eine "Kosten"-Erhöhung um etwa den gleichen Prozentsatz bedeutet. Der durch das erhöhte Körpergewicht bedingte Nachteil scheint also zu überwiegen.

In Wirklichkeit muß man aber folgendes bedenken:
- Das Gewicht des mit der "vorbereitenden Ernährung" präparierten Athleten nimmt rapider ab; im Mittel geht zweifelos ein deutlich geringerer Prozentsatz als 1,6% in die Rechnung ein.
- Wer eine "vorbereitenden Ernährung" befolgt, läuft nicht in die Gefahr einer Glykosemangelkrise der Muskulatur; auch auf den letzten Kilometern der Marathonstrecke steht Glykogen in ausreichender Menge in den Muskeln zur Verfügung.
- Wer eine "vorbereitende Ernährung" befolgt und damit eine größere Menge Hydratwasser in den Muskeln speichert, läuft weniger in Gefahr, in eine Austrocknungs- oder Hyperthermie-Krise zu geraten.
- Mit der "vorbereitenden Ernährung" erhöht sich auch der Glykogenvorrat in der Leber; und da gerade die Leber den Glukosegehalt des Blutes regelt, läßt sich so eine Hyperglykämie-Krise (Blutzuckermangelkrise) leichter verhindern. Außerdem braucht der Läufer weniger Zucker während des Wettkampfes zu sich zu nehmen. In einer Reihe von uns durchgeführten praktischen Versuchen mit der "vorbereitenden Ernährung" hat sich gezeigt, dass viele so vorbereitete Marathonläufer wesentlich frischer am Ziel eintreffen und bestätigen, weniger "gelitten" zu haben als in anderen Läufen ohne diese Vorbereitung. Die Nützlichkeit der "vorbereitenden Ernährung" steht also außer Zweifel; selbst unabhängig vom Zeitvorteil, der ebenso daraus resultiert.

24. Der Sauerstoffverbrauch im Marathonlauf
Die beste bisher in der Welt gelaufene Marathonzeit ist die von Derek Clayton vom 30. Mai 1969 in Antwerpen: 2:08:33,6. Sie entspricht einem Stundenmittel von 19,692 km. Wenn die "Kosten" des Laufes 0,9 kcal/kg x km betrugen, kann man mit einem Aufwand von 17,72 kcal/kg x Stunde rechnen. Angenommen Clayton habe einen Atmungsquotienten von 0,85 gehabt
(4,8 kcal pro Lieter Sauerstoff), kann man rechnen, dass er

17,72 kcal/kg x h / 4,86 kcal/Liter = 3,463 Liter Sauerstoff/kg x h = 60,7 ml/kg x Min.

an Sauerstoff verbrauchte. Sehr wahrscheinlich hat Clayton jedoch einen max. Sauerstoffverbrauch (Kapitel 12) nahe oder gar über 80 ml/kg x Min. In diesem Falle hätte er etwa 75% seines max. Sauerstoffverbrauchs ausgenutzt. Ähnliche Werte sind von Costill bei Marathonläufern nationalen und internationalen Niveaus gefunden; sie stimmen mit den von uns bei einigen italienischen Marathonläufern der nationalen Spitzenklasse festgestellten Werte überein. Bei Läufern mit geringem Niveau lagen die Ausnutzungswerte des max. Sauerstoffverbrauchs niedriger. Das Trainig des Marathonläufers muß also neben der Erhöhung des max. Sauerstoffverbrauchs die Ausnutzung desselben zum Ziel haben..

25. Leistungsbegrenzende Faktoren
Während des Marathonlaufs, oft auch noch zusätzlich durch ambientale Bewegungen beeinflußt, können einige Faktoren die Leistungsfähigkeit des Athleten stark einschränken. Einige der schon im Detail behandelten sind - Die Erschöpfung des Glykogenvorrats in den Muskeln - Die "Austrocknung" - Der Blutzuckermangel (Hypoglämie) - Die Überhitzung (Hyperthermie). Diese Faktoren, häufig in Kombination von mehreren gleichzeitig auftretend, provozieren verschiedenartige Störungen, die schließlich zur "Krise" führen. Man bedenke auch das in Kapitel 7 über den Salzhaushalt gesagte. Hin und
wieder weisen Marathonläufer zum Ende des Laufs eine klar überhöhte "Azotemia" (blood area concentration; Stickstoff- gehalt des Blutes) auf {Im allgemeinen wendet man diesen Ausdruck erst bei bedrohlichen Zuständen an, was A. aber offensichtlich nicht gemeint hat}. Hingegen scheint im Marathonlauf, im Gegensatz zu den schnellen Mittelstrecken die Milchsäurekonzentration des Blutes kein leistungsbegrenzendes Limit aufzuweisen. In der Tat weisen Marathonläufer nach dem Lauf eine sehr niedrige Milchsäurekonzentration auf; außer wenn sie das Rennen mit einem ausgesprochenen Schlußspurt abschließen. Nach Prof. Astrand können noch andere leistungsbegrenzende Faktoren hinzukommen, wie z.B. Störungen in der Elektrolytbilanz auf dem Niveau der Zellmembranen der Muskelfiber und Veränderungen der enzymatischen Systeme. Bezüglich der individuellen Fähigkeit zu einer langen intensiven Belastung wie im Marathonlauf, sagt Astrand außerdem:
"Wenn eine gegebene Arbeit einen Sauerstoffverbrauch von 2 Liter pro Minute erfordert, hat ein Individuum, das über einen max. Sauerstoffverbrauch von 4 Liter pro Minute verfügt, einen genügenden Sicherheitsbereich zur Verfügung, während eine Individuum mit einem max. Sauerstoffverbrauch von 2,5 Liter pro Minute im gleichen Belastungsfalle so dicht an seinem Maximum belastet wird, dass sein inneres Gleichgewicht sehr viel mehr gestört wird. Bei längerer Belastung sind die Motivierung, der Trainigszustand, die Wasserbilanz und die verfügbaren Energievorräte die wichtigsten Größen für die
Leistungsfähigkeit

26. Einige praktische Ratschläge
Den Marathonläufern seien hier noch einige andere Ratschläge in der Konsequenz des bisher gesagten gegeben :
Es ist nicht nur wichtig, viele km pro Woche zu laufen, sondern auch in jedem Training eine lange Strecke ohne Unterbrechung zu laufen; außer aus physiologischen Gründen auch wegen der Probleme (Glukosemangel, "Austrocknung", Hyperthermie, usw.), die sich erst nach längerer Belastung einstellen. Liegt zwischen der letzten Mahlzeit und dem Wettkampf ein längerer Zeitraum, ist es wichtig eine halbe bis eine viertel Stunde vor dem Start Zucker in fester oder gelöster Form zu sich zu nehmen. Ein Trikot, wie es Ron Hill bei den Europameisterschaften in Athen trug (weiß, perforiert und weit) ist sinnvoll, wenn es heiß ist und die Sonne scheint. Wenn ein Marathonläufer nicht völlig die "vorbereitende Ernährung" befolgen kann, sollte er es trotzdem zumindest teilweise tun; wenn auch der Vorteil derselben (wie in Abb. 1 aufgezeigt) nicht in gleicher Weise gegeben ist. Es ist vor allen Dingen wichtig, dass die letzten 4 bis 6 Mahlzeiten ausschließlich aus Kohlehydrtaten bestehen, und dass diese Ernährungsweise nach einem verlängerten Trainig begonnen wird. Außerdem sollte man während dieser Ernährungsperiode selbst nur sehr wenig trainieren.
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rund ums laufen

 

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