Vorbereitung auf den ersten Marathonlauf
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von Manfred Steffny
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Für viele Menschen ist der erste Marathonlauf ihres Lebens ein entscheidendes Erlebnis. Vorfreude und Prüfungsangst befällt sie gleichermaßen wie damals bei Kommunion oder Konfirmation, Abitur oder Führerscheinprüfung. Der entscheidende Unterschied zum weltlichen oder geistlichen Examen aber ist: ein allgemeines Unwissen über die Vorbereitung. Der gewissenhafte Marathonschüler ist auf Hörensagen angewiesen, denn es gibt kaum Marathontrainer. Die wenigen beschäftigen sich mit Spitzenleuten oder behalten ihr Wissen für sich. Man kann in den größten Bibliotheken stöbern über Marathontraining und findet in Buchform nichts Gescheites oder nur total veraltete Vorstellungen. Vor allem war es undenkbar, dass sich dieser angeblich männermordende Sport (der Nurmi-Trainer Pikhala: Pferdekur für Menschenbeine) einmal zu einem Volkssport erster Ordnung entwickeln könne.

Die erste Grundlage für einen Marathonläufer in spe ist ein mindestens einjähriges Training und eine 10.000 m-Bestzeit von 50 Minuten. Wer weder das eine noch das andere erfüllt hat, sollte mit dem Marathonabenteuer auf jeden Fall noch warten. Er gewinnt eine völlig falsche Vorstellung von den 42,195 km, weil er sich durch zu geringem Unterbau im Training mit einer
einmaligen Leistung zuviel abfordern muß und möglicherweise für immer, zumindest aber für lange Zeit, die Lust am Marathonlauf verliert. Warten bringt hier einen großen Gewinn. Die Marathonstrecke sollte nur der anvisieren, der trainingsmäßig und gesundheitlich voll auf der Höhe ist. Einen Marathonlauf kann man im Training nicht simulieren. Was bis 30 km gut ging, kann wenige km später schon ganz anders aussehen. Wohlvorbereitete Marathonkandidaten sind bei Olympischen Spielen in der Phase des "toten Punktes" zwischen 30 und 35 km jämmerlich eingegangen. Um wieviel mehr muß des Anfänger sich äußert sorgsam vorbereiten, um den unbekannten Anforderungen gewachsen zu sein.

Hier sollen aber keine Angstparolen verkündet werden. Umgekehrt, nach diesen Warnungen soll einmal ganz klar gesagt werden: es gibt nicht einen einzigen Sport, in dem man so schnell und sicher einen Fortschritt erzielen kann wie im absoluten Dauerlauf. Jeder Kilometer, der im "steady state" (Gleichgewicht von von Sauerstoffaufnahme und Sauerstoffverbrauch) gelaufen wird, zahlt sich meßbar in Sekunden und Minuten aus. Ein Volksläufer mit einer 10.000 m-
Bestzeit von 45 Minuten kann mit 30 % mehr Training über Marathon den Kollegen schlagen, der ihm auf der 10-km-Distanz um 5 Minuten überlegen ist. Der Weltklasseläufer fällt in dieser Disziplin sofort um Klassen zurück, wenn man ihn zwänge, ein Jahr lang in der Woche nur einmal zu trainieren. Da hilft das sogenannte Talent, die überlegene Lauftechnik, das taktische Wissen überhaupt nicht mehr. Ein Frank Shorter würde 2:40 Stunden laufen, was für einen täglich trainierenden Volksläufer mit einer 10.000-m-Bestzeit von 34 Minuten oder für die weltbesten Frauen durchaus möglich ist.
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Grenzen der Dauerlauffähigkeit von 10 km bis Marathon

10.000 m Bestzeit (Männer und Frauen)
27:30 30:00 32:30 35:00 36:00 37:30 40:00 42:30 45:00 47:30 50:00
Maximal mögliche Marathon-Bestzeit
2:07:30 2:20 2:32:30 2:45 2:50 2:57:30 3:10 3:22:30 3:35 3:42:30 4:00
Realistische Zeit, auch im ersten Marathonlauf erreichbar
2:11:30 2:25 2:40 2:55 3:00 3:10 3:25 3:42:30 4:00 4:20 4:40
                  nach M. Steffny
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Die Grenze liegt im allgemeinen bei einer wöchentlichen Leistung von 200 km, einige Spitzenläufer können einen Schnitt von 250 km Dauerlauf verkraften, für die Masse ohne große Freizeit genügen 100 km in der Woche mit gelegentlichen Schüben, die zum Teil erheblich darüber hinaus gehen.

Tempoläufe nicht notwendig
Der Marathonläufer braucht keine Tempoläufe. An und für sich kommt er nur auf den letzten zwei Kilometern aus dem Sauerstoffgleichgewicht heraus, wenn die periphere Muskeldurchblutung überhaupt noch so gut ist, dass das Tempo gesteigert werden kann, denn meist hat der Marathonläufer ab ungefähr 38 km Waden wie Pudding, ein typisches Zeichen zu wenig lokale Muskelausdauer, die man sich durch viele Dauerläufe erwirbt.

Für den ersten Marathonlauf suche man sich möglichst eine leichte Strecke ohne große Höhenunterschiede und auf Asphalt aus. Man gewöhnt sich an den Straßenbelag, indem man in den letzten drei Monaten vor dem Start ungefähr die Hälfte des Trainings oder knapp darunter auf der Straße bestreitet.

Man lege sich in jedem Fall eine Marschroute zurecht, denn ein gleichmäßiger Rythmus ist der Schlüssel zum Erfolg, zu schnelles Anfangstempo führt beinahe unausbleiblich zum Fehlschlag. Wer naßforsch losrennt, kann innerhalb weniger Kilometer zehn Minuten verlieren. Es ist keine Seltenheit im Marathonlauf, dass bei 40 km mit einer Minute Vorsprung führende Leute noch eingeholt wurden. Marathon ist also die Kunst des "Wartenkönnens", der guten Nerven und der Konzentration. Dies muß zur im Training erworbenen Ausdauer kommen, soll sich der Erfolg einstellen.

Kleinigkeiten entscheiden
Manchmal entscheiden sogenannte Kleinigkeiten über Erfolg oder Mißerfolg. Man ziehe niemals neue Schuhe für einen Marathonlauf an. Rund 100 km sollte man in ihnen schon zurückgelegt haben. Verhängnisvoll sind auch neue, rutschende Socken. Denn die bei Kilometer 32 gelaufene Blase am Fuß knallt noch einige Tausend Male auf den Asphalt, und dann heißt es Ruhe bewahren wie ein Indianer am Marterpfahl, um sicher über die Runden zu kommen. Blasen sind nicht notwendig, sie können durch genügendes Training vermieden werden. Zusätzlich sollte man die Zehen durch Leukoplastpflaster
schützen ebenso die Brustwarzen. Reibungsempfindliche Stellen im Schritt oder am Gesäß sollte man mit Hirschtalg oder Fettsalben einreiben. Den Füßen tun spezielle Salben gut, die im Handel von verschiedenen Firmen agngeboten werden.

In der direkten Vorbereitung empfehle ich - immer vorausgesetzt, der Marathonkandidat hat ein einjähriges Training im Dauerlauf hinter sich - 14 Tage vor dem Rennen einen 10.000-m-Lauf. Er (oder sie) sollte in diesem Lauf höchstens ein bis zwei Minuten über seiner Bestzeit bleiben. Entfernt er sich mehr von seinem Leistungsniveau, so sollte er sich ernsthaft überlegen, sein Marathondebüt zu verschieben. Denn was über 10.000 m zwei Minuten sind, bedeutet im Marathonlauf
schnell zehn bis 15 Minuten Zeitverlust. Kann man aber von einer 10.000.m-Bestzeit ausgehen, die man einigermaßen sicher im Griff hat, erleichtert sich die Marschtabelle erheblich. Mathematische Künste sind nicht erforderlich, um die idealen Zwischenzeiten zu erreichen. Auf einer einigermaßen flachen und windunabhängigen Strecke kann man sich sein Rennen sehr schön gestalten, nicht nach den Gegnern, sondern nach den Zwischenzeiten. Und die kann man notfalls vor dem Start mit dem Kugelschreiber auf den Arm schreiben, um sein Gedächtnis zu entlasten.

Gesetzmäßiger Leistungsabfall
Der Leistungsabfall von 100 m bis zu Marathonlauf verläuft beinahe gesetzmäßig. Bis einschließlich 10.000 m gibt es Faustregeln, die von der Weltklasse bis zum mittelguten Läufer gelten. Toni Nett hat diese Daten aufgezeichnet, beispielsweise ist über 10.000 m optimal die doppelte 5.000-m-Zeit plus eine Minute zu erreichen. Von 10.000 m bis zum Marathonlauf gelten natürliche Regeln des Leistungsabfalls. Sie sind durch die maximale Sauerstoffaufnahme und den Stoffwechsel vorbestimmt. Durch jahrelange Aufzeichnungen habe ich Tabellen für Läufer mit einer Bestzeit von 27:30 Minuten bis zu 50 Minuten erstellt. Dabei ist unterschieden zwischen maximaler Leistungfähigkeit und auf Anhieb bei solider
Trainingsgrundlage zu erreichende Zeit im ersten Lauf. Die Zeiten wie auch die Trainigspläne gelten gleichermaßen für Männer und Frauen. Der Abfall zwischen 10.000 m und Marathon ist hier ungefähr gleich groß. Die Tabelle behandelt Mann und Frau gleich. Meines Erachtens kann kann jedoch eher eine Frau mit einer 10.000-m-Bestzeit von 34 Minuten die Schwelle von 2:40 Stunden unterschreiten als ein Mann mit 30 Minuten über 10.000 m die 2:20. Der Grund ist ganz einfach und von van Aaken in früheren Arbeiten dargelegt: was die Frau vom Knochenbau und der Muskulatur bis 10.000 m behindert, holt sie
durch bessere Stoffwechselanpassung bis Marathon wieder auf. Durchweg kann man aber sagen, dass eine guttrainierte Frau etwa 10 bis 15 Prozent schlechter läuft als ein guttrainiert Mann. Der Frau kommt dabei entgegen, dass sie eher das günstige Wettkampfgewicht von 55 - 60 kg hat, das nur die wenigsten Männer auf die Waage bringen können. Denn im Marathon entscheidet nicht die Kraft, sondern die geringste Last.

Die letzten 14 Tage
1. 10.000-m-Testlauf oder Volkslauf ein - zwei Minuten über Bestzeit
2. leichter Lauf eine Stunde
3. Ruhetag
4. gleichmäßiger Dauerlauf zweit Stunden
5. Einlaufen, 3 x 5 km im Renntempo
6. 30-km-lauf (5 - 10 Minuten über dem angestrebten Renntempo)
7. Ruhetag
8. 1 1/2 Stunden Dauerlauf
9. 10-km-Lauf im Renntempo
10. 1 1/2 Stunden Dauerlauf
11. 1 Stunde Dauerlauf
12. 45 Minuten Dauerlauf
13. Ruhetag
14. 30 Minuten spielerischer Lauf
15. Marathonlauf im Wettkampf
   

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